Rätia begann 1963 als «Mädchen für alles» bei der Swissair und wurde schliesslich Kadermitglied und – als erste Frau der Geschichte – Landesvertreterin der Swissair.
Rätia ist ein Vorkriegsprodukt, geboren am 19. Mai 1939. Sie absolvierte die Handelsschule und landete nach verschiedenen Stationen 1963 bei der Swissair. Dort machte sie als erste und einzige Frau die Anwärterprüfung, um für die Swissair ins Ausland zu gehen. Es folgten viele Einsätze auf der ganzen Welt (unter anderem als erste weibliche Landesvertreterin), über die sie auch in ihrem Buch «Swissair – mein Leben» erzählt. Rätia lebt im Winter in Chur und im Sommer in der Bretagne.
Ein Interview von Mena Dressler
Was hat dich dazu bewogen, den Beruf zu ergreifen, den du hattest?
Eigentlich wollte ich Künstlerin werden. Aber meine Eltern hielten nicht viel von dem brotlosen Job und steckten mich in die Handelsschule. Ich war zwar nie die Klassenbeste, aber immer Klassenchefin. Die natürliche Autorität hatte ich von meinem Vater geerbt.
Bei der Rhätischen Bahn entdeckte ich das Reisen für mich – und landete schlussendlich bei der Swissair, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was ich dort machen sollte. Ich habe einfach gesagt, dass ich ins Ausland will, das war das wichtigste für mich – und dann haben sie mir einen Job gegeben.
Was genau waren deine Tätigkeiten?
Anfangs war ich Mädchen für alles, ich war eine kleine Assistentin, mehr nicht. Ich habe für meine Chefs alles gemacht, was sie von mir verlangten und immer auch noch mehr, was ich gerade als wichtig empfand. Dank dem Freiraum, den die Swissair ihren Mitarbeitern gab, hatte ich freie Bahn und übernahm alle Verantwortung, als wenn es mein Unternehmen gewesen wäre. Vom «Mädchen für alles» wurde ich, nachdem das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, zum Kadermitglied. Und wer noch mehr wissen möchte: einfach mein Buch «Swissair – mein Leben» lesen.
Welche Vor- oder Nachteile gab es deiner Meinung nach als Frau in deinem Job?
Mit den Männern hatte ich kaum Probleme, weil wir uns damals noch gegenseitig schätzten und uns klar war, dass wir verschieden waren und sind. Von Konkurrenz, Gender oder Feminismus war keine Spur. Natürlich haben einige ihre Rolle als Mann voll ausgekostet, aber ich hatte genug innere Stärke, das zu belächeln. Für alle um mich herum konnte ich mich gut einsetzen, nur mich selbst habe ich immer zurückgenommen.
Bis ich erfahren habe, dass ich weniger Salär hatte als meine männlichen Kollegen. Dabei ging es mir nie um den materiellen Wert, sondern um die Freude an meiner Arbeit. Das ist wohl ein Merkmal der Frauen zu meiner Zeit: bescheiden hintenanzustehen und sich glücklich zu schätzen, dass man sich im Hintergrund beweisen kann, bis man entdeckt wird.
Flughafen Zürich vor der Abreise nach Nordamerika (1967).
Hong Kong, Aberdeen, beim chinesischen Dschunken Bauer für die Expedition von Hong Kong nach Mittelamerika (1973).
Rätia (ganz links) als Chefin in Mailand mit ihren Mitarbeiterinnen (1983).
Hattest du mit Vorurteilen zu kämpfen? Und wenn ja, mit welchen?
Mit Vorurteilen ALS Frau hatte ich nie zu kämpfen, wenn dann MIT Frauen. (lacht) Um mich herum waren nur Männer, mit denen kam ich immer gut aus. Mein Erfolgsgeheimnis war, dass ich immer Frau blieb, ohne die Männer kopieren zu wollen. Aber den Sekretärinnen fiel es damals noch schwer, eine Frau als Chefin zu akzeptieren – ein wenig Eifersucht spielte immer etwas mit. Männer sind toleranter als Frauen, ausserdem sind Männer damals viel respektvoller mit Frauen umgegangen als heute mit dem übertriebenen gesellschaftlichen Wandel in unserer Gesellschaft.
Wie hast du dich als einzige Frau durchgesetzt?
Ich war damals die einzige Frau in dem höheren Kader der Swissair. Da konnten die Männer teilweise schon auf falsche Gedanken kommen. Aber ich wäre nie mit einem meiner Chefs ins Bett gegangen, ich wollte nicht, dass man von mir sagt: «Die Padrutt hat übers Kopfkissen Karriere gemacht». Niemals! Die klare Einstellung machte Eindruck bei meinen damaligen Chefs.
Als dann das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt wurde, durfte ich als Anerkennung für meine Dienste und meine Grundsätze in die Kaderschulung – als erste und einzige Frau. Damals wurde Geradlinigkeit noch geschätzt und anerkannt. Aber natürlich musste man als Frau immer beweisen, dass man mehr leisten kann als die männlichen Kollegen. (lacht)
Was war das Interessanteste an deinem Job?
Libreville, Gabun, war die wohl herausforderndste Zeit für mich. Ich durfte dort eine neue Station der Swissair eröffnen. Die Mentalität, die Lebensweise und die Kultur der Afrikaner kennenzulernen und in einem anderen Klima und mit anderen Arbeitsweisen mit ihnen zusammenzuarbeiten: das war ein bereichernder, grundlegender Lernprozess. Andere Länder, andere Sitten eben. Aber als «Gastarbeiterin» wollte ich immer verstehen, weshalb vieles anders war – und ich fand immer einen Grund.
Was war das Aufregendste an deinem Job?
1981/82 als Landesvertreterin in Bulgarien. Ich war im Freisinn aufgewachsen und musste mich plötzlich in einem total gegensätzlichen, kommunistischen Regime zurechtzufinden und im kommunistischen Totalitarismus arbeiten. Zwei Jahre als alleinstehende Frau in einem Land mit Überwachung rund um die Uhr, immer in grosser Achtsamkeit, um ja keinen politischen Fehltritt zu begehen … Bis mir bewusst wurde: Ich mache meinen Job und kümmere mich nicht um Politik, dann kann mir auch die KGB nichts anhaben. Für die Bulgaren wurde ich sogar zur persona grata gestempelt, weil ich eine Swissair Gazette über Bulgarien organisierte, die einen ganzen Monat auf unseren Flugzeugen verteilt wurde. Ohne Politik, nur Kultur. Rückblickend ist die Zeit in Bulgarien für mich die grösste Lehre gewesen und ich danke meiner Swissair, dass ich dies durchgestanden habe und gelernt habe, zu überleben.
Besuch bei Fischern im Senegal (1981).
Als einzige weibliche Landesvertreterin der Swissair beim jährlichen Meeting in der Schweiz (1981).
Vor der Versetzung von Schweden nach Zürich (1988).
Gibt es ein Vorurteil bezüglich deines Jobs, mit dem du gerne aufräumen würdest?
Nein, das gibt es nicht, denn immer an meinen runden Geburtstagen singt meine Freundin Edit Piaf mit Klavierbegleitung: «Non, non jene regrette rien.» Die Vorurteile zu meiner Zeit waren in mir: Kann ich das? Aber ich habe das Neue, das Unerwartete, immer angepackt, und das liess mich meine Ängste überwinden und verhalf mir zum Erfolg. Ein Buch schreiben? Da war ich fast sicher, dass es niemand interessieren würde. Aber ich setzte mich hin und es floss aus mir heraus, obwohl ich geglaubt hatte, dass mein Bruder alle Schreib-Gene erhalten hätte, nicht ich. (lacht) Dank Aeschbacher, Persönlich, etc. und seinem Wert als Zeitdokument verkauft sich das Buch immer noch.
Was ist deine treibende Kraft? Worin liegt deine besondere persönliche Stärke?
Immer wieder lernen, Neuem offen gegenüberstehen, alles zu hinterfragen, aber meinen Grundsätzen und Erkenntnissen dabei treu bleiben und das Beste aus einer nicht unbedingt erwünschten Situation machen. Eigentlich wollte ich ja Künstlerin werden. Meine Eltern, 1900 und 1901 geboren, boten mir in den 50er Jahren an, zu studieren. Wie mein fünf Jahre älterer Bruder, obwohl es damals noch keine Gleichstellung der Frau oder Feministen gab. Aber schlussendlich besuchte ich die Handelsschule und schlug dadurch einen völlig anderen Weg ein, den ich bis heute nie bereut habe.
Was denkst du, welche Stärken haben Frauen, derer sie sich zu wenig bewusst sind?
Dass sie mit ihrer Weiblichkeit und Fruchtbarkeit eine grosse Ausstrahlung und Wirkungskraft haben, wenn sie sich dessen bewusst sind. Das Kopieren der Männer schadet ihnen nur. Sie können sich für ganz andere Grundwerte einsetzen, wenn sie sie leben würden. Meine Eltern waren mir diesbezüglich in jeder Beziehung ein grosses Vorbild und lebten dieses auch. Sie waren es, die mir diese Kraft für mein Leben mitgaben, aber auch die eigenständige Denkweise und Entscheidungskraft.
Würdest du dein Leben nochmal so leben?
Mit Bestimmtheit in einer Belle Epoque, aber diese unbegrenzten Möglichkeiten gibt es heute nicht mehr. Eine alleinstehende Frau könnte heutzutage in den unsicheren Ländern dieser Welt nicht mehr als Chefin wirken. Auch nicht als Schweizerin, denn unser Image wurde durch unsere Politik stark angekratzt. Ich fühle mich so gestärkt durch alle Wirren, die ich durchlebt habe und dass ich ein so ausserordentlich reiches Leben geführt habe, was nie mehr sein kann.
Du willst mehr wissen?
Über ihre Zeit bei der Swissair erzählt Rätia in ihrem Buch «Swissair – mein Leben», erschienen im Th.Gut Verlag im Januar 2014, erhältlich z.B. in der Buchhandlung Karlihof in Chur. «In den 1960er-Jahren, als die Frauen in der Schweiz noch nicht einmal das Stimmrecht besassen, bewarb sich die junge Bündnerin Rätia Padrutt Guillaumet bei der nationalen Luftfahrtgesellschaft Swissair. Dank ihres Engagements wurde sie bald zu einer wichtigen Vertreterin und reiste von Casablanca nach Los Angeles, von Abidjan nach Hongkong und noch viel weiter, um die Firma zu repräsentieren. Eindrücklich schildert Rätia Padrutt Guillaumet den Swissair-Alltag und berichtet von ihrem Kampf für die Rechte der Frauen und für ein Leben voller Abenteuer.»
«Khurer Katza kasch küssa …» Diesen oder einen ähnlichen Spruch hat sich sicher jede Frau aus Chur ausserhalb des Kantons schon einmal anhören müssen. Was möchte man uns damit sagen? Dass Churer Frauen nichts können? Wir drehen den Spiess um. Wir lassen «Khurer Katza» zu Wort kommen und zeigen, was sie wirklich können.
Für unsere Kampagne haben wir sieben Frauen interviewt, die aus Chur stammen oder in Chur tätig sind. Sie erzählen über ihre Vergangenheit, ihren Alltag, über Vorurteile in der Gesellschaft und wie sie diesen begegnen, aber auch über die Vorteile als Frau. Wir beleuchten ihre Lebensentwürfe, räumen auf mit Klischees – und verwandeln den negativ konnotierten Spruch in etwas Positives.