«Wo ist denn der Doktor?» Solchen Fragen begegnet die junge Oberärztin mit Gelassenheit und Humor. Rebekka flickt gerne Kaputtes und wenn es dem Menschen danach wieder besser geht, ist sie glücklich.
Rebekka ist 36 Jahre alt und im Luzerner Hinterland aufgewachsen. Sie hat in Fribourg und Lausanne studiert, in Zürich und im Tessin gearbeitet und lebt jetzt in Chur. Rebekka ist verheiratet und hat vier Kinder. Ihr grösstes Hobby ist Gleitschirmfliegen – nebst Familie und Job ist ihr Leben damit gut ausgefüllt.
Ein Interview von Mena Dressler
Was genau ist dein Beruf?
Ich bin Ärztin und Chirurgin. Hier am Kantonsspital in Chur arbeite ich in der Unfallchirurgie. Seit vier Jahren bin ich Oberärztin, das heisst ich operiere und habe gleichzeitig Verantwortung für die Assistenzärzte und für die chirurgische Notfallstation.
Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?
Als Kind wollte ich Lehrerin werden, später Künstlerin, dann hätte ich gerne Physik studiert … und dann habe ich das mit der Medizin probiert. Anfangs wollte ich Anästhesistin werden. Das ist etwas Manuelles und man steht nicht so im Vordergrund, das hätte mir gefallen. (lacht) Um Erfahrung in anderen Fachgebieten zu sammeln, habe ich nach dem Studium aber erstmal in der Chirurgie angefangen. Ich hatte eine tolle Stelle, einen super Chef, es hat mir viel Spass gemacht – und so bin ich bei der Chirurgie geblieben.
Welche Vor- oder Nachteile gibt es deiner Meinung nach als Frau in deinem Job?
Frauen in der Chirurgie sind heutzutage eigentlich nichts Aussergewöhnliches mehr. Aber in den höheren Positionen in der Unfallchirurgie gibt es nach wie vor wenig Frauen. Als Frau fehlen einem die Vorbilder, das empfinde ich als sehr schade. Männer denken oft noch, dass man zum Beispiel als Frau am Abend nicht so lange bleiben kann, wenn man Kinder hat. Einem Mann gegenüber bestehen diese Vorurteile nicht. Vielleicht ändert sich das mit der Zeit?
Hast du mit Vorurteilen zu kämpfen? Und wenn ja, mit welchen?
Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, hat mich mein damaliger Chef praktisch abgeschrieben. Für ihn war klar, dass ich nun die Chirurgie an den Nagel hängen würde. Das hat mich sehr traurig gemacht, da ich ihn sehr geschätzt und in ihm ein grosses Vorbild gesehen habe. Wobei ich ihm zugutehalten muss, dass die Unfallchirurgie damals noch eine reine Männerdomäne war und es somit natürlich schon eine Überraschung für ihn war, dass jemand aus seinemTeam schwanger wurde. (lacht)
Später hat er seine Meinung auch revidiert, da er gesehen hat, dass Chirurgie auch mit Familie funktioniert. Rund um das Thema Familie bestehen aber generell noch so einige Vorurteile. In einem Bewerbungsgespräch wurde ich gefragt, was ich mache, wenn ein Kind krank ist. Diese Frage würde einem Mann nie gestellt werden, egal wie viele Kinder er zuhause hat.
Rebekka vor der Osteosynthese einer distalen Radiusfraktur (Versorgung eines Handgelenksbruches mit Platte und Schrauben), am 19. Dezember 2022 um 23:54 Uhr.
Rebekka beim Gleitschirmfliegen über Locarno, am 27. August 2022 um 10:24 Uhr.
Familienportrait der zweitältesten Tochter (5-jährig).
Wie begegnest du diesen Vorurteilen?
In solchen Situationen bin ich leider überhaupt nicht schlagfertig. (lacht) Im Nachhinein hätte ich natürlich klarstellen müssen, dass die Frage nach den Kindern nicht in Ordnung ist.
Gibt es ein Vorurteil bezüglich deines Jobs, mit dem du gerne aufräumen würdest? Was würdest du gerne klarstellen?
Unter den Kolleginnen und Kollegen gibt es je länger je mehr eigentlich keine Vorurteile mehr, Frauen sind in der Chirurgie wie gesagt nicht mehr so ungewöhnlich. Aber die Patienten sind Ärztinnen teilweise noch nicht gewöhnt. Gerade wenn man jung ist, werden einem Fragen gestellt wie: «Wer operiert mich denn?» oder «Wann kommt denn mal ein Arzt vorbei?» Man besucht die Patienten jeden Tag, aber manchen ist nicht bewusst, dass die junge Frau der «Doktor» ist.
Hier ist es gerade als Frau wichtig, wie man auftritt und dass man sich auch korrekt vorstellt. Sonst kann es einem passieren, dass man als junge Ärztin Patientenbesuche macht, die Patienten beim Reden aber nur den grossgewachsenen, männlichen Studenten anschauen, den man dabei hat. (lacht) Aber je sicherer man wird und sich auch selbst fühlt, desto weniger passiert einem das.
Was ist das Spannendste an deinem Job?
Ich operiere gern, es macht mir einfach Spass, etwas Kaputtes flicken zu können. (lacht) Die Chirurgie ist ein Handwerk, in dem man immer wieder etwas Neues dazulernt, das macht es für mich so spannend. Und das Immediate gefällt mir gut an der Chirurgie: Der Patient hat etwas, man macht etwas und danach geht es ihm hoffentlich besser. Einem Menschen helfen zu können – das ist ein schöner Aspekt und das mache ich sehr gerne.
Was gefällt dir nicht an deinem Job?
Situationen, in denen ich das Gefühl habe, zu wenig Zeit für den Patienten zu haben, sind ein schwieriges Thema. Das kann ich der Sprechstunde oder auf der Notfallstation sein. Wenn man gestresst ist und dem Patienten kaum gerecht werden kann – das gefällt mir nicht.
Was hat dich dazu bewogen, in die Medizin zu gehen?
Medizin hat mich einfach interessiert. Es hätte auch irgendetwas anderes werden können, ich wäre bestimmt auch in einem anderen Beruf glücklich geworden. Aber ich bin sehr dankbar, dass ich etwas tun kann, das mir Spass macht und dass ich so einen tollen Job habe.
Rebekka hoch über dem Maggia-Delta.
Was ist deine treibende Kraft?
Dass ich das, was ich mache, gerne mache. Aber das liegt nicht nur an mir, sondern auch daran, dass ich hier ein sehr schönes Umfeld und ein super Team habe. Hier gehöre ich dazu, ich darf mitschaffen, ich habe Verantwortung, ich habe Freude an meinem Job – das lässt mich jeden Tag fröhlich sein.
Ich kann aber auch sehr selbstkritisch sein, was den Job anbelangt. Vielleicht müsste ich mir manchmal etwas mehr zutrauen. Allerdings darf man sich als Chirurg keinesfalls überschätzen – darin sind Frauen besser als Männer, glaube ich. Man kommt oft in Situationen, in denen man etwas zum ersten Mal machen muss. Oder man muss plötzlich sehr schnell Entscheidungen treffen. Wenn ich entscheide, dass wir mit einem Patienten in den Operationssaal gehen, dann bin im schlimmsten Fall auch ich schuld, wenn etwas schief geht. Es braucht also auch Mut, aber keinen Übermut. Hier die richtige Balance zu finden, ist eine Stärke von mir, auch wenn es nicht immer ganz einfach ist.
Warum gibt es so wenige Frauen in deinem Beruf?
In Domänen, wo es überwiegend Männer gibt und wo die Vorgesetzten die weibliche Art noch nicht so gewöhnt sind, muss man sich als Frau immer noch etwas behaupten. Nicht, weil Frauen weniger können, aber weil sie sich selbst zu wenig zutrauen. Dadurch wird ihnen von aussen nicht so viel zugetraut und darum kommen sie auf der Karriereleiter oft nicht so hoch.
Hier kommt es sehr auf das Arbeitsumfeld und auf die Vorgesetzen an: Zurückhaltende Frauen brauchen einen Chef, der sie fördert, der ihnen vermittelt, dass sie ihre Sache gut können und somit das aus ihnen herausholt, was sie ja auch tatsächlich können. Wer das nicht hat, wird oft von jüngeren, männlichen Kollegen überholt, die sich an ein Problem herantrauen, ohne sich erst den Kopf zu zerbrechen, wie Frauen es meistens tun. Wenn man als Frau gegen Vorgesetzte mit Vorurteilen kämpfen muss, dann ist es oft einfacher, sich eine andere Nische zu suchen, als sich den Platz unter Männern zu erkämpfen.
Was denkst du, welche Stärken haben Frauen, derer sie sich (immer noch) zu wenig bewusst sind?
Die Fähigkeit, sich selbst einzuschätzen und daraus die richtige Entscheidung zu treffen. Das können Frauen sehr gut – aber sie müssen es sich auch zutrauen. Ausserdem denke ich, dass Frauen besser darin sind, etwas gemeinsam zu machen und den Erfolg zu teilen. Frauen können am Schluss neidlos sagen: «WIR haben das gut gemacht», statt wie Männer die Lorbeeren nur für sich allein einheimsen zu wollen. Vielleicht ist das aber auch nur ein Klischee, das wir Männern gegenüber haben? (lacht)
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In dieser Gleitschirmschule hat Rebekka fliegen gelernt:
«Khurer Katza kasch küssa …» Diesen oder einen ähnlichen Spruch hat sich sicher jede Frau aus Chur ausserhalb des Kantons schon einmal anhören müssen. Was möchte man uns damit sagen? Dass Churer Frauen nichts können? Wir drehen den Spiess um. Wir lassen «Khurer Katza» zu Wort kommen und zeigen, was sie wirklich können.
Für unsere Kampagne haben wir sieben Frauen interviewt, die aus Chur stammen oder in Chur tätig sind. Sie erzählen über ihre Vergangenheit, ihren Alltag, über Vorurteile in der Gesellschaft und wie sie diesen begegnen, aber auch über die Vorteile als Frau. Wir beleuchten ihre Lebensentwürfe, räumen auf mit Klischees – und verwandeln den negativ konnotierten Spruch in etwas Positives.