Melanie ist der lebende Beweis, dass Bestatter weder grosse, alte Männer sind, noch humorlos. Ihren Platz zum Sterben hat sie bereits gefunden – und bis es so weit ist, bereitet sie anderen Menschen mit liebevoller Hingabe einen würdevollen Abschied.
Melanie ist 39 Jahre alt, seit zwei Jahren im Bündnerland daheim und lebt mit ihrem Partner in Tamins. Kinder hat sie keine, sie ist völlig auf ihren Beruf und ihre Berufung fixiert. In ihrer Freizeit liest sie gerne oder ist zum Kopf lüften in den Bergen unterwegs.
Ein Interview von Mena Dressler
Was genau ist dein Beruf und was sind deine Tätigkeiten?
Ich bin Bestatterin und seit neuestem auch stellvertretende Geschäftsführerin bei Caprez Bestattungen. Unser Job ist spannend und sehr abwechslungsreich, wir wissen am Morgen nie, was der Tag bringt. Es sind leider nicht immer nur die älteren Menschen im Pflegeheim, die friedlich einschlafen durften. Manchmal kommt ein Anruf der Polizei und wir müssen sofort ausrücken. Dazu kommen Gespräche, Überführungen, Aufbahrungen oder das Herrichten der Verstorbenen – das liegt mir als gelernte Coiffeuse sehr. Zusätzlich bringt die Geschäftsführung noch viele neue Aufgaben mit, mir ist also nie langweilig.
Was hat dich dazu bewogen, Bestatterin zu werden?
Ich bin gelernte Coiffeuse und war zehn Jahre selbständig. Die Arbeit an sich hat mir sehr gut gefallen, es ist ein schöner Beruf, aber auch äusserst oberflächlich. Es ist immer das Gleiche, es wird gejammert, wo es gar nichts zu jammern gibt. Ich wollte etwas Sinnstiftendes machen. Bestatterin ist nicht immer ein einfacher Job, aber es ist ein sehr dankbarer Job, bestimmt der dankbarste, den es gibt.
Wie reagiert dein Umfeld auf deinen Job?
Bei uns zuhause wurde immer offen und ehrlich über den Tod geredet. Mein Grossvater war Friedhofsgärtner und ich bin damit aufgewachsen, dass der Tod ein ganz normalesThema und alles andere als tabu ist. Meine Familie und meine Kollegen finden es völlig normal, dass ich Bestatterin bin. Mein Partner hatte anfangs etwas Mühe damit, da er vorher noch nie Kontakt mit dem Tod hatte. Aber inzwischen hat er sich daran gewöhnt.
Melanie (hier ca. 5 Jahre alt) mit ihrer Grossmutter beim Wandern.
Auch heute findet sie ihren Ausgleich in den Bergen.
Welche Vor- oder Nachteile gibt es deiner Meinung nach als Frau in deinem Job?
Rein körperlich ist man als Frau schon manchmal im Nachteil. Frauen sind oft kleiner und haben weniger Kraft, das ist nun mal so. Wir sind aber ein sehr gutes Team und wenn es zum Beispiel um’s Sargtragen geht, unterstützen wir uns gegenseitig.
Im Gespräch mit Angehörigen haben Frauen meiner Meinung nach oft ein besseres Gespür für deren Bedürfnisse. Wir sind feinfühliger, das ist ein Vorteil. Als Frau wird einem von den Angehörigen oft Hilfe angeboten, das finde ich sehr schön. So kann man sie in den Prozess mit einbinden, das hilft ihnen bei der Trauerbewältigung.
Hast du mit Vorurteilen zu kämpfen? Und wenn ja, mit welchen?
Nicht direkt mit Vorurteilen, aber mit Klischees. Wenn man bei Angehörigen klingelt, um einen Verstorbenen abzuholen, dann ist die Überraschung oft gross, wenn zwei junge Frauen vor der Tür stehen. Unter Bestatter stellen sich die meisten Menschen einen grossen, kräftigen Mann ab 50 mit schwarzem Anzug und ernstem Gesichtsausdruck vor. (lacht) Aber das ist natürlich ein Klischee, dass alle Bestatter so aussehen wie aus derTV-Serie.
Wir tragen auch nicht nur schwarze Kleidung und sagen kein Wort, im Gegenteil. Die Kleidung muss angemessen sein, also kein bauchfreiesTop. Aber etwas Farbe darf natürlich sein. Und wenn keine trauernden Angehörigen im Geschäft sind, dann wird auch viel gelacht bei uns, denn wir sind ein sehr fröhliches und aufgestelltes Team.
Was magst du an deinem Job?
Für mich ist es sehr schön und befriedigend, wenn ich die Angehörigen während des ganzen Prozesses unterstützen und begleiten kann, am liebsten vom ersten Anruf bis zur Beisetzung. Leider ist das nicht immer möglich, da wir ein Team von zehn Personen sind und immer nur zwei pro Tag arbeiten. Ich hatte vorher noch nie einen Job, bei dem ich gedacht habe, dass ich «leider» frei habe, aber hier ist das oft so. (lacht)
Mir ist wichtig, dass die Verstorbenen einen schönen und vor allem würdevollen Abschied haben und dass den Angehörigen ein positives letztes Bild von der verstorbenen Person bleibt. Das – und die Dankbarkeit der Angehörigen – ist mein Antrieb.
Was ist nicht so schön an deinem Job?
Es gibt immer wieder Fälle, die sehr emotional sind und die ich natürlich auch mit nach Hause nehme. Sie belasten mich zwar nicht direkt, aber manche Sachen kann ich auch nicht vergessen. In solchen Fällen tut es mir gut, dass ich sowohl mit meinem Partner als auch mit meinen Eltern offen und ehrlich über alles reden kann – natürlich ohne Namen zu nennen. Auch im Team reden wir darüber, das ist sehr wichtig und hilfreich. Ich sehe mich nicht einfach nur als Bestatterin, sondern als Begleiterin. Indem ich die Angehörigen in ihrem Trauerprozess begleite, erhalte ich auch für mich selbst die Möglichkeit, das Ganze zu verarbeiten. Ich tue also nicht nur der Familie etwas Gutes, sondern schliesse es auch für mich ab, das ist ganz wichtig.
Gehört für Melanie zum Alltag dazu: Särge auspolstern.
Keinesfalls gruselig und düster: So sieht das Bestattungsunternehmen Caprez innen aus.
Was ist deine treibende Kraft? Worin liegt deine besondere persönliche Stärke?
Mein Verständnis und meine Empathie. Als Coiffeuse hat mich das Jammern der Kunden über unwichtige Probleme manchmal aufgeregt. Aber Angehörigen gegenüber könnte ich nie im Leben böse sein, auch wenn sie vielleicht mal überreagieren. Ich weiss, dass sie in einer Ausnahmesituation sind und kann spüren, was sie gerade brauchen und wie ich sie abholen kann.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir hier im Gegensatz zum Coiffeursalon mit den meisten Kunden nur einmal zu tun haben? Stammkunden gibt es bei uns nicht wirklich. (lacht) Naja, und mein Humor, der hilft schon auch, auch den Angehörigen. Zwischen der Trauer und der Verzweiflung auch mal lachen können: Das ist extrem hilfreich für die Hinterbliebenen.
Würdest du den Beruf wieder ergreifen?
Absolut, ich bin angekommen und möchte bis zur Pensionierung nichts anderes machen. Wer weiss, wann die dann ist, vielleicht ist das Pensionsalter 80, bis es bei mir so weit ist? Aber zumindest habe ich schon mal einen guten Ort zum Sterben. (lacht)
Was denkst du, welche Stärken haben Frauen, derer sie sich (immer noch) zu wenig bewusst sind?
Schwierige Frage, da fällt mir spontan nichts ein. Wir sind sicherlich noch nicht in dem Zeitalter angekommen, dass Frauen den Männern gleichgestellt sind. Ich persönlich bin in meinem Leben allerdings weder mit Nachteilen noch mit Vorurteilen konfrontiert. Auch beruflich muss ich mir nichts «erkämpfen», obwohl ich in einer Männerdomäne arbeite. Das sollte wohl das Ziel für alle Frauen sein.
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